Julia Bellabarba im Gespräch mit dem Psychologen und Sexualtherapeuten Vito Manduano.

Im Oktober 2020 habe ich mit meinem italienischen Kollegen Vito Manduano ein Interview geführt.

Er ist Psychologe in eigener Praxis hier in Berlin. Es ging um flüchtende Gehirne, aber auch um die Neuroplastizität des Gehirns, um Reisen  – und um LSD in der Paartherapie. Ein spannendes Gespräch mit einem tollen Kollegen!

JB: Du bist in Italien aufgewachsen und hast dort auch studiert. Jetzt arbeitest du hier in Berlin als approbierter Psychotherapeut. Was findest du besonders interessant an deiner Arbeit?

VM: Gerade in letzter Zeit habe ich viel darüber nachgedacht, auch über den Begriff des Ex-Pat, der ja eine andere Bedeutung hat als der Begriff Migrant. Dieser Begriff bezeichnet eine Gruppe von Personen, die über bestimmte Privilegien verfügen, die sich in der Welt bewegen, und beispielsweise nach Deutschland kommen, weil ihre Karrierechancen hier möglicherweise besser sind. Ich arbeite mit italienischen Patienten, die sich als Ex-Pats bezeichnen würden. In Italien gibt es den Begriff la fuga dei cervelli, also wörtlich übersetzt die Flucht der Gehirne oder brain drain würde man auf Englisch sagen, – 100.000 200.000, 300.000 man weiß keine genauen Zahlen … sie gehen weg aus Italien und kommen an: bei mir! Ich bin sozusagen das Ufer an dem sie, bildlich gesprochen, anlegen. Diese Patienten sind extrem mobil, ihre Biografien sind sehr komplex, vielschichtig und international. Das finde ich interessant.

JB: Arbeitest du auch mit deutschsprachigen Patienten?

VM: Ja, als ich noch angestellt war, habe ich in verschiedenen Beratungsstellen gearbeitet und natürlich waren da deutschsprachige und auch englischsprachige Klienten. In meiner Praxis sehe ich italienische Patienten, die Nachfrage ist sehr groß. Meine italienischen Patienten sind Selbstzahler, da ich jedoch davon ausgehe, sehr bald im Kostenerstattungsverfahren Therapie anbieten zu können, werde ich auch deutschsprachige Patienten behandeln können. Ich würde ausgesprochen gerne mit deutschen Patienten arbeiten und einen möglichen Schwerpunkt meiner Arbeit auch auf die Beratung von Trans KlientInnen legen. Für diese Patientengruppe gibt es noch nicht genügend Therapieangebote in Berlin, ich würde hier gerne einen Beitrag leisten.

JB: Das ist interessant, denn wenn wir metaphorisch über die Situation Transsexueller nachdenken, erinnert mich das auch wieder an das Thema des Reisens, das dich beschäftigt. Bevor wir in diese Metapher noch weiter einsteigen, würde ich sehr gerne wissen: was ist ein Art Counsellor? Ich weiß, dass du dich so nennen darfst, aber: was ist das?

VM: Das liegt schon so lange zurück! Während meines Studiums in Rom an der Sapienza fühlte ich mich in den großen Vorlesungssälen etwas verloren und manchmal doch sehr weit entfernt von meiner ursprünglichen Leidenschaft, der Psychologie. Und daher habe ich mit einer Kollegin zusammen einen Kurs besucht, der sich an ein ganz diverses Publikum wendete, d.h. es haben nicht nur Psychologen teilgenommen sondern auch interessierte Mitbürger. Ich hatte ein großes Interesse daran, mich kreativ auszudrücken und Art Counselling wurde hier verstanden als eine Art Mediation zwischen dem Patienten und dessen kreativen Ausdrucksmöglichkeiten in der Malerei, Fotografie, Poesie oder Musik.

JB: Interessant! Das erinnert mich ein wenig an die Angebote im MBSR, die auch Poesie als Ausdrucksform nutzen. Und damit auch Möglichkeiten schaffen, sich in der Kontemplation zu üben.

VM: Ja, und obwohl meine Ausbildung kognitiv-verhaltenstherapeutische ist, benutze ich immer noch gerne kreative und expressive Methoden, um mein therapeutisches Handeln bunter und vielfältiger zu gestalten.

JB: Es ist schön, dass du hier noch mal das Bildhafte einführst, denn ich glaube Bilder sind therapeutisch sehr hilfreich. Auf deiner Website benutzt du die Metapher der Reise. Wie nutzt du diese spezifische Metapher in der Psychotherapie?

VM: Ja, ich denke, das Bild der Reise ist auch für mich persönlich und natürlich in meiner Arbeit sehr hilfreich. Viele Menschen tun etwas, um ein Ziel zu erreichen. Manche Patienten von mir sind Mitte 30 und fühlen sich unzufrieden, weil sie meinen, nichts erreicht zu haben, sozusagen nichts in der Hand zu haben. Ich versuche, mit ihnen darüber nachzudenken, wie das Leben als Prozess begriffen werden kann, als eine Abfolge von Momenten, von der Geburt bis zum Tod. Heraklit und sein Verständnis des panta rhei, also: alles fließt… eine kontinuierlicher Veränderungsprozess.

JB: Ja. Das geht mir auch so, wenn ich mit den Paaren über die Verwandlung spreche, der sie selbst unterliegen. Wenn ich mit Paaren über Transformationen, die notwendig sind, spreche, und über das Lernen, die Neuroplastizität des Gehirns, um Ihnen zu vermitteln dass ihr Partner oder ihre Partnerin sich ebenfalls im Wandel befinden. Und dass sie sich gemeinsam gegenseitig verändern. Auch eine Ehe ist im ständigen Wandel.

JB: Ein weiterer Punkt in deiner professionellen Biografie: du bist auch Sexualtherapeut. Arbeitest du als Sexualtherapeut mit einzelnen Klienten oder mit Paaren?

VM: Ich habe die Ausbildung erst vor Kurzem abgeschlossen. Bisher hatte ich vor allem einzelne männliche Patienten. Im nächsten Jahr möchte ich sexualtherapeutisch auch noch mehr mit Paaren arbeiten, und ich werde mein Angebot in dieser Hinsicht entsprechend erweitern.

JB: Meinst du, dass deine italienischen Patienten sexualtherapeutisch besondere Erwartungen oder Erfordernisse haben? Ich habe darüber vor unserem Gespräch etwas nachgedacht und würde vermuten, eher nicht. Was meinst du?

VM: Kann ich mir nicht vorstellen. Ich sehe zwischen den Paaren, egal ob sie deutsche oder italienische Paare sind, eher einen Unterschied in den Werten, die sich auf eine bestimmte Art und Weise auf die Sexualität des Paares auswirken können.

JB: Welche Unterschiede siehst Du – wenn überhaupt – in Hinblick auf Sexualität zwischen Italien und Deutschland?

VM: Ich sehe zwischen Italien und Deutschland, zumindest in meiner Generation, keine Unterschiede. Allerdings habe ich den Eindruck, dass es zwischen Berlin und dem Rest der Welt Unterschiede in diesem Bereich gibt!

JB: Ah, das wird ja viele Berliner freuen! Was meinst Du konkret?

VM: Wenn ich mit einzelnen Patienten oder auch Paaren hier in Berlin arbeite, kommt sehr häufig das Thema Polyamorie, primäre und sekundäre Beziehung, offene Beziehung, BDSM und Transsexualität zu Sprache. Ich habe sowohl in Berlin als auch in Hamburg gelebt und denke, dass ich als Therapeut in einer anderen deutschen Stadt oder in Rom nicht so häufig mit diesen Themen konfrontiert wäre. Wie siehst Du das?

JB: Ja, das sehe ich ähnlich. Allerdings kenne ich in Deutschland, zumindest beruflich, nur Berlin. Ein weiterer Faktor, der mich in meiner Arbeit als Paartherapeutin oft beschäftigt, und vielleicht auch etwas berlinspezifisch ist, sind Drogenmissbrauch oder -sucht.

VM: Ja, und interessanterweise gibt es ja auch Studien, die die Wirksamkeit von beispielsweise LSD Microdosing in der Paartherapie untersuchen!

JB: Oh, das habe ich gar nicht auf dem Schirm. Danke für die Anregung!

JB: Ganz herzlichen Dank, Vito, für dieses interessante Gespräch. Ich wünsche dir alles Gute!

Und noch eine Anmerkung, bzw. einen Nachtrag. Die letzte Bemerkung von Vito hat mir keine Ruhe gelassen und ich habe nachgeforscht. Sie finden den Bericht über die (paar)therapeutische Wirkung von LSD Microdosing unter:

https://www.nytimes.com/2017/01/07/style/microdosing-lsd-ayelet-waldman-michael-chabon-marriage.html

Wie immer ohne Gewähr!