Ich beschäftige mich seit über dreißig Jahren mit Paaren und deren Krisen. Kurzfristige Lösung, Tipps, schnelle Hilfe bei Beziehungsstress? Kann ich nicht bieten. Mein Angebot: machen Sie sich mit Fakten vertraut, die helfen, Beziehungskrisen besser zu verstehen und entscheiden Sie dann, was Ihnen helfen kann.

5 1/2 Wahrheiten über Beziehungskrisen, die Ihnen helfen können, sich und Ihren Partner besser zu verstehen

1.

Krisen in Liebesbeziehungen sind vollkommen normal. Sogar unausweichlich. Normale Paare haben normale Krisen. Besonders häufig, wenn sich äußere Bedingungen verändern: die (in der Regel ersehnte) Geburt des ersten Kindes, veränderte berufliche Anforderungen, Krankheiten, empty nest, Ruhestand. Oft gehen Krisen also mit Entwicklungsstufen im Lebenszyklus von Paaren einher – aber nicht immer. Das beste Beispiel: die Pandemie. Eine massive und für viele existenziell bedrohliche Veränderung, die Auswirkungen auf das Zusammensein von Paaren und Familien hat und zu krisenhaften Partnerschaftsproblemen führen kann.

2.

Wenn Paare in einer Beziehungskrise sind, entwickeln beide ungünstige Theorien übereinander. Beispielsweise „Sie ist krankhaft empfindlich “ oder „Er hat eine narzisstische Persönlichkeit“, um dann im Alltag Bestätigung für die jeweilige These zu suchen. Jedes Verhalten, dass Grund zur Bestätigung der eigenen Theorie gibt, wird mit einem inneren „Ha! wusst‘ ich’s doch!“ registriert. Und sämtliche Verhaltensweisen, die genau das Gegenteil der eigenen Theorie belegen, werden übersehen.

3.

Diese Wahrnehmungsverzerrung führt zu einer ähnlichen Psychose, wie wir sie aus der initialen Verliebtheit kennen – nur nicht in Form einer positiven, sondern in Form einer negativen Verblendung. Alles, alles, einfach alles war anfangs zauberhaft! Und jetzt ist alles, alles, einfach alles mies! Der ganze Partner, die ganze Beziehung, eine einzige Enttäuschung! Könnte man objektiv darauf schauen (aber wer kann das schon) würde man feststellen, die beiden waren am Anfang mit einer durchschnittlichen Anzahl an liebenswürdigen und anstrengenden Eigenschaften ausgestattet und sind es immer noch. Der Fokus ihrer Wahrnehmung hat sich allerdings verschoben.

4.

Eine weitere kuriose Verschiebung in diesem Zusammenhang: Menschen in einer Beziehungskrise begründen das eigene Fehlverhalten und das des Partners unterschiedlich. Die eigenen Fehler erklären sie als Folge äußerer Umstände („ich war halt gestresst“), die des Partners als Ausdruck eines Charakterdefizits („sie ist einfach unsensibel“). Das hat zur Folge, dass wir unser eigenes Fehlverhalten als veränderbar beschreiben, das der Partnerin hingegen als Persönlichkeitsmerkmal und damit als statisch. Wir denken dann oft „Ich bin ja nur so doof, weil du so doof bist!“ – aber: „Du bist einfach nur doof!“.

5.

Irgendwann entsteht dann ein Teufelskreis aus negativen Überzeugungen, verzerrter Wahrnehmungen und einer hochangespannten affektiven Grundhaltung. Die Nerven liegen blank und die Konflikte entzünden sich immer schneller, immer heftiger, immer häufiger. Das Gehirn lernt in dieser Zeit, sehr schnell auf geringste Reize, die als feindselig wahrgenommen werden, zu reagieren. Die neuronalen Bahnen, die bei Angriff oder Flucht angelegt werden, sind jetzt richtig stabil ausgebaut und werden in immer kürzeren Abständen aktiviert. Muster, die wir in Ausnahmefällen brauchen, nämlich Aggressivität oder Rückzug, sind jetzt Routinemuster geworden.

1/2.

Das Paar ist jetzt überzeugt: wir passen einfach nicht zusammen! Doch das ist natürlich nur die halbe Wahrheit. Genauso unrealistisch, wie die Überzeugung der anfänglichen Euphorie, ist die Überzeugung der Krise.

… und eine Empfehlung.

Lassen Sie sich niemals

eine gute Krise entgehen.

Vermutlich: Winston Churchill

Es ist normal für Paare, in Krisen zu geraten. Und normal ist es auch, Krisen zu bewältigen. Das bedeutet, sich aktiv damit auseinandersetzen. Krisen in Beziehungen gehen in der Regel nicht von allein weg. Kämpfen bis zur gegenseitigen Erschöpfung, ignorieren oder aussitzen bringen nur mehr desselben hervor, nämlich: Enttäuschung, Verletzung und Verzweiflung.

Bewältigung einer Beziehungskrise kann dann entstehen, wenn beide, gemeinsam oder allein, neue Wege gehen. Lernen und zu anderen Gedanken kommen. Neue Muster ausprobieren. Neue Gewohnheiten, neue Regeln und neue Rituale entwickeln.