Anne hat mir die Geschichte ihrer Beziehung so erzählt:

Mir hat nichts gefehlt. Ich war lange sehr glücklich und
ich glaube, Arne hat das genauso empfunden.

Als ich nach dem zweiten Kind wieder angefangen habe zu arbeiten, habe ich
gemerkt, dass ich nicht mehr so belastbar war. Ich glaube, ich habe mich damals
übernommen und mir zu viel zugemutet, wollte es allen recht machen,
hatte Schuldgefühle und konnte meinen eigenen Ansprüchen nicht mehr genügen.
Ich verlangte mir immer mehr ab: die Firma, das eigene Haus, mein Aussehen,
Sport, Kinder: alles sollte perfekt und gleichzeitig mühelos wirken.

Zwischen Arne und mir war scheinbar alles so wie immer, wir waren ein Team.
Später hat er mir erzählt, wie traurig er damals war, und dass er sich ziemlich
einsam gefühlt hat. Als müsse er in meiner perfekten Inszenierung
mitspielen, ohne dass er sich selber noch von mir geliebt fühlte.

Irgendwann meinte Arne, er wolle so nicht weiter machen. Er fühle sich leer
und einsam und habe sogar schon an Trennung gedacht. Ich war
sehr erschrocken und wusste: jetzt müssen wir etwas ändern!
Wir haben dann so viel mit einander gesprochen, wie noch nie in unserem Leben.
Diese Phase war von unheimlicher Ehrlichkeit und auch von einer Aufbruchstimmung
geprägt, es ging an die Substanz, und es war gleichzeitig auch innig.

Und dann passierte es. Ich verliebte mich, als wäre der Blitz
eingeschlagen!
Vasco war der Klavierlehrer unserer Tochter. Und ich
war vom ersten Moment an fasziniert von ihm. So ein Gefühl der Anziehung hatte
ich noch nie empfunden, es war ein geradezu schmerzhaftes Verlangen und eine
ganz tiefe Sehnsucht. Ich wusste, das schaffe ich nicht allein. Zwischen Vasco
und mir war noch nichts passiert, ich wusste noch nicht einmal, ob er meine
Gefühle erwidert, aber ich wusste, ich muss das mit Arne besprechen. Nicht
zuletzt, weil er mein Mann, aber auch mein bester Freund ist.

Arne wirkte zwar verstört, aber zunächst fast auch ein bisschen erleichtert.
So als hätte ich noch etwas gut aus der Zeit, in der er sich ein paar One-Night-Stands
gegönnt hatte. Ich versuchte ihm zu erklären, dass meine Gefühle
tiefgehender waren
, aber vielleicht dachte er, ich bräuchte so eine
romantische Vorstellung, um den Klavierlehrer zu „vernaschen“. Er
sagte, er könne mit einer kurzen Affäre leben. Ich wusste von Anfang an, dass
mir Vasco mehr bedeutet.

Vasco und ich näherten uns an, er wurde mein Geliebter. Nach einem halben
Jahr sind Arne und ich über ein Wochenende verreist, ohne die Kinder. Wir haben
wieder intensive Gespräche geführt und ich habe mich zum ersten Mal getraut, Arne
zu fragen, was er von Polyamorie hält
. Und ob er sich vorstellen
könne, dass ich langfristig auch mit Vasco eine Liebesbeziehung führe. Arne
reagierte verunsichert und ziemlich abweisend. Er bat sich Bedenkzeit aus.

Wir führten weiter Gespräche und ich betonte immer wieder, wie sehr
ich es schätze, dass Arne sich mit meinem Vorschlag auseinandersetzte.

Ich habe damals auch angeboten, dass ich mich auf eine Probezeit einlassen
würde, in der wir beide prüfen, ob Polyamorie für uns und unsere Familie
funktioniert. Langsam und behutsam handelten Arne und ich die Bedingungen für
das Jahr Probezeit aus. Gleichzeitig habe ich natürlich auch mit Vasco viel über uns und seine Bedürfnisse gesprochen. Eine anstrengende Zeit. Nach Ablauf der Probezeit bat sich Arne nochmal Bedenkzeit aus, und hat sich dann auf diese Lebensform eingelassen.

Wir sind mit vielen Ängsten und Hoffnungen in dieses Experiment eingestiegen. Und wir mussten alle drei lernen, dass wir Vertrauen und Respekt, Wohlwollen und Rücksichtnahme geben müssen, damit es gelingt. Arne war  skeptisch und vorsichtig, doch die Tatsache, dass wir uns gemeinsam mit mir   auf diese Reise begeben hat, hat meine Liebe zu ihm gestärkt. Es ist nicht perfekt, aber es ist das, was wir alle drei wollen. Und es ist gut so.